Der Fluchthelfer

Eine Frühjahrsgeschichte

 
Die Tür der Gaststube im Wirtshaus „Zum Ochsen“ knarrte in ihren Angeln, als die hochgewachsene Gestalt des Försters den rustikal eingerichteten Raum betrat. Zwischen seinen Beinen drängte sich der ihm treu ergebene Jagdhund Fritz nach vorn.
An dem langgestreckten Stammtisch waren die meisten Plätze bereits besetzt, und beinahe jeder der Dorfhonoratioren hatte seine Maß vor sich stehen. Der Gedankenaustausch über die neuesten Ereignisse am Ort war im heimeligen Flackerlicht zweier Kerzen bereits in vollem Gange. Der soeben eingetretene Grünrock setzte sich ohne Umschweife dazu, und sein Hund legte sich ihm zu Füßen. Der herbeieilenden Bedienung nannte er seine Wünsche, die in einer Schale Wasser für seinen Begleiter und einer Maß Bier für ihn selbst bestanden. Die bis dahin eher murmelnd zwischen einzelnen Tischnachbarn geführte Unterhaltung wurde durch das Erscheinen des Försters und seiner klangvollen Baritonstimme neu belebt.
 „Na,“ so hörte man ihn sagen „ich war schon ein paar Tage nicht mehr bei Euch im Ochsen. Da werden mir doch einige wichtige Neuigkeiten entgangen sein?“
Aus der Art seiner Rede und des gezeigten Selbstbewusstseins wurde deutlich, dass der Forstmann eine eine von allen anerkannte Persönlichkeit des Ortes war.
Die daraufhin von den anwesenden Stammtischlern angesprochenen Themen waren nicht unbedingt von weltbewegender Bedeutung, wenn es sich um die Errichtung eines neuen Maibaumes, um die Beschilderung von Wanderwegen, die Hangverbauung gegen Erosionsschäden oder die Drainage zweier Rastplätze ging.
Leise vor sich hinlächelnd, gab der Forstbeamte der Unterhaltung mit einer unerwarteten Frage wieder eine neue Wendung: „Wußtet Ihr eigentlich, dass wir einen Fluchthelfer in unserer Gemeinde beherbergen?“ Kaum waren die ersten erstaunten Reaktionen verklungen, da heizte der Förster die Stimmung nochmals an, indem er den Vornamen des vermeintlichen Missetäters wie beiläufig nannte: „Soviel mir bisher bekannt ist, soll er ´Fritz´ heißen. Das allgemeine Rätselraten mündete in ein Durcheinander verschiedener Stimmen, an deren Mutmaßungen der Grünrock seine sichtliche Freude hatte. Jeder, der ihn genauer kannte, wusste natürlich, dass der Forstmann ein Schalk war, der gerne mal andere auf´s Glatteis führte. So wunderte es wenig, dass er nach einem weiteren Schluck aus seinem Maßkrug noch eines ´draufsetzte´: „Dieser Fritz soll nicht nur einmal, sondern schon mehrfach jungen Baumschulräubern zur Flucht verholfen haben.“
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