Der Fluchthelfer


Der steinige und schmale Weg führt wie Ihr wisst, hinab in den besiedelten Talkessel unterhalb des nahezu vollkommen bewaldeten Oberförsterbezirkes. Fritz, mein Bayerischer Gebirgsschweißhund, ist ein ausgezeichneter Jagdhund, der schon mehrere Prüfungen des Jagdvereins mit der bestmöglichen Bewertung 4H bestanden hatte: schußfest, erfolgsgewohnt bei der Nachsuche, als Rüde im besten Mannesalter von sieben Jahren und seinem Herrn unbedingt ergeben! Eine bei solchen Hunden seltene Fähigkeit zum ´Vorstehen` hatte man bei Fritz in der Dressur soweit perfektionieren können, dass er gleichsam darauf wartete, sein Können unter Beweis zu stellen.
So war der kluge Hund gewissermaßen zum Aufpasser der mich begleitenden´Gäste´ geworden, damit er verhinderte, dass sich diese ´in die Büsche absetzen´konnten. Der Pfad   führte nahe der Scheune des Weigel´schen Hofes vorüber. Hier hatte der Bauer nicht nur sein Heu eingelagert, sondern es befand sich darin auch die Mähmaschine, der Erntewagen und mehrere landwirtschaftliche Geräte während der kalten Jahreszeit.
Gerade war die Prozession mit den zwei Büßergestalten am Holzschiebetor der Scheune vorüber, da nahm der Jagdhund vor dem Seiten-Einstieg jene typische Haltung an, die man ihm als Vorsteh-Hund in der Jagdhundeschule beigebracht hatte. Er starrte unverwandt auf die hölzerne Klapptüre, ein Zeichen dafür, dass er dahinter etwas für seinen Herrn Wichtiges oder gar eine Gefahr vermutete. Die zwei Begleiter mit ihren Riesen-Sträußen hatten das außergewöhnliche Verhalten des Jagdhundes Fritz vermutlich gar nicht bemerkt, denn sie trotteten ungerührt weiter.
„Ich will mal nachsehen, was der Hund festgestellt hat!“ rief ich den beiden ´Dorfheiligen' nach. „Wartet an der Hang-Eiche auf mich! Es dauert nicht lange!“
Nur mit Mühe gelang es mir, die hölzerne Seitentüre der Scheune zu öffnen. Fritz hatte sich direkt davor aufgestellt und schien entschlossen, mir den notwendigen Schutz zu geben. - Der ungeduldige Hund begann schon zu gauzen, als ich die Brettertüre wenigstens halb geöffnet hatte. Völlig unerwartet flog mir ein großes, braun-schwarzes Knäuel entgegen und fiel vor mir auf meine Pirsch-Stiefel. Ehe ich mich besinnen konnte, stand ein langohriges Tier – natürlich ein Feldhase – verdutzt vor mir, um im nächsten Augenblick mit Riesensätzen, hakenschlagend über den Hang davonzuhetzen und im Gehölz des nahen Waldrandes zu verschwinden.
Und was tat Fritz? Er starrte noch immer auf die halbgeöffnete Brettertür der Scheune, in der von mir ihm ursprünglich befohlenen Vorstehhaltung. Natürlich hatte ich dem Hund den Befehl „Faß an!“ gegeben, als der Hase das Weite suchte. Doch es war mein Fehler, dass ich nicht, was bei der Hundeführung stets beachtet werden muß, den vorherigen Befehl aufgehoben hatte.
Wo aber waren die zwei Begleiter, die ich überprüfen wollte?- Ja, sie waren fort! Fort waren sie durch meine Unachtsamkeit! Konnte ich ihnen nachlaufen und mich lächerlich machen? Fritz saß vor mir im Gras und hob seine Pfote, als wollte er sagen: „Da kann man nichts mehr machen!“ Er selbst war aber so zum echten Fluchthelfer geworden!“

Oberförster Falk erhob sich von seinem Platz, lachte seinen Stammtischbrüdern zu und rief: „Na dann, frohe Ostern, allerseits!“

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